In diesem Artikel erkläre ich dir, warum Willensstärke nicht nur nett ist, sondern für jeden Trader eine Kernkompetenz darstellt. Willensstärke entscheidet darüber, ob du diszipliniert nach Plan handelst oder impulsiv Fehler machst, ob du Stops einhältst oder Verluste durch Nachschießen vergrößerst, ob du übertrading betreibst oder geduldig auf passende Setups wartest.
Ich nehme dich mit auf eine praktische Reise: Wir schauen uns überraschende wissenschaftliche Befunde an, beleuchten, wie und warum Willenskraft entsteht und erschöpft wird, und ich gebe dir einen konkreten, umsetzbaren Plan an die Hand, wie du deinen „Willenskraft-Akku“ während deiner Trading-Tage grün hältst — inklusive Checklisten, Routinen und Alltags-Hacks.
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Warum du jetzt weiterlesen solltest
Wenn du schon einmal impulsiv gehandelt hast, Stopps ignoriert oder nach einem Verlust übereilt versucht hast, ihn „zurückzuholen“, dann war das vermutlich kein Mangel an Strategie — oft ist es ein Mangel an Willensstärke im richtigen Moment. Willensstärke lässt sich verstehen, messen, trainieren und managen. Das bedeutet: Du kannst die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass du genau dann schlappmachst, wenn es um Entscheidungen mit echtem Geld geht.
Die überraschende Studie mit israelischen Richtern — ein Blick in die Mechanik
Eine bekannte Untersuchung zu Begnadigungsanträgen bei Berufungsrichtern in Israel zeigt eindrucksvoll, wie sehr Entscheidungen und Glukose den Entscheidungsprozess beeinflussen. Kurz zusammengefasst wurden Tausende Anträge ausgewertet — und das Ergebnis war verblüffend:
- Insgesamt wurden etwa ein Drittel aller Antragsteller entlassen.
- Wurden Anträge am frühen Vormittag verhandelt, lag die Entlassungsrate bei rund 70 %.
- Wurde am späten Nachmittag verhandelt, sank die Rate auf ungefähr 10 %.
- Vor Pausen (z. B. Vormittagspause oder Mittagspause) lag die Entlassungsrate sehr niedrig (um 10–15 %), nach Pausen sprang sie auf etwa 60–70 % hoch.
Die Erklärung: Je niedriger der Blutglukosespiegel der Richter und je mehr Entscheidungen sie bereits am Tag getroffen hatten, desto restriktiver wurden ihre Entscheidungen. Nach Pausen, in denen Energie wieder aufgeladen wurde, fielen die Entscheidungen deutlich liberaler.
Für uns Trader bedeutet das: Entscheidungen adressieren kognitive Ressourcen. Wenn dein „Willenskraft-Akku“ leer ist — ob durch viele Entscheidungen, langen Stress oder niedrigen Blutzuckerspiegel — triffst du entweder gar keine Entscheidungen oder falsche Entscheidungen. Das ist nicht abstrakt, das ist handfestes Verhalten unter Gelddruck.
Was ist Willenskraft eigentlich?
Willenskraft ist die Fähigkeit, kurzfristige Impulse oder Versuchungen zu widerstehen, um langfristige Ziele zu verfolgen. Im Trading heißt das konkret: Nicht bei jedem Rauschen im Markt zu reagieren. Nicht jedes Setup zu traden. Stopps einhalten, Positionsgrößen nicht überziehen und nicht in Rachetrades nach Verlusten zu verfallen.
Wichtig: Willenskraft verhält sich wie ein Muskel. Sie ermüdet durch Nutzung, aber sie lässt sich stärken. Und — ebenso wichtig — sie kann unmittelbar erschöpft sein. Das macht sie sowohl trainierbar als auch akut steuerbar.
Symptome mangelnder Willenskraft im Trading
Beobachte dich selbst auf folgende Anzeichen. Wenn du eines oder mehrere erkennst, ist es sehr wahrscheinlich, dass dein Willenskraft-Akku leer oder zumindest schwach ist:
- Overtrading: Du nimmst zu viele Trades an, oft ohne sauberes Setup.
- Stops ignorieren: Stopps werden nicht gesetzt oder nicht eingehalten.
- Risiko erhöhen: Du vergrößerst Positionen nach Verlusten (Revanche-Trading).
- Nicht nach Plan handeln: Positionsmanagement und Ein-/Ausstiegsregeln werden impulsiv abgewandelt.
- Frühzeitig aufgeben: Du steigst zu früh aus, aus Angst, Gewinne könnten wieder verloren werden.
Wie du deinen Willenskraft-Akku lädst: Die Grundlagen
Der Akku lädt sich durch zwei Hauptfaktoren: Schlaf und Ernährung. Wenn eines davon nicht stimmt, startest du mit weniger als 100 % Kapazität.
Schlaf
Qualitativ guter und ausreichend langer Schlaf ist die Grundvoraussetzung. Ohne erholsamen Schlaf leidet die kognitive Leistung, Reaktionszeit und Impulskontrolle. Routinen zur Schlafhygiene (konstante Schlafenszeiten, Bildschirmfreiheit vor dem Schlafen, dunkles Schlafzimmer) verbessern deine Basiskapazität deutlich.
Ernährung und Glukose
Der Blutzuckerspiegel wirkt unmittelbar auf die Willenskraft. Aber Achtung: Nicht jeder Zucker ist gleich gut. Schnell verfügbare Süßigkeiten können zwar kurzfristig Energie liefern, führen aber zu schnellen Blutzuckerabfällen und Nachlass der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Setz stattdessen auf Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index (GI), die für einen konstanten Energiespiegel sorgen. Beispiele:
- Gemüse (salat, Brokkoli, Spinat)
- Beeren, Äpfel, Birnen (statt Banane oder stark zuckerhaltigen Früchten)
- Vollkornprodukte: Haferflocken, Vollkornbrot, Quinoa
- Hülsenfrüchte: Linsen, Bohnen, Kichererbsen
- Nüsse und Samen
- Milchprodukte wie Naturjoghurt, Quark
- Süßkartoffeln statt normaler Kartoffeln
Wenn du diese Snacks während längerer Trading-Sessions einsetzt, bleibt dein Energielevel stabiler und damit auch deine Entscheidungsfähigkeit.
Warum Entscheidungen und Versuchungen Energie kosten
Jede ernsthafte Entscheidung nimmt Energie vom Akku. Die Richter-Studie ist ein Paradebeispiel: Viele schwere Entscheidungen am Tag führten zu schlechteren Entscheidungen später. Bei „kleinen“ Entscheidungen ist der Energieverlust minimal. Bei komplexen, moralisch oder emotional aufgeladenen Entscheidungen — wie etwa Begnadigungen — ist der Energieverlust deutlich größer.
Gleichzeitig belastet das ständige Widerstehen von Versuchungen deine Ressourcen. Ein bekanntes Experiment mit drei Gruppen zeigt das eindrücklich:
- Gruppe A durfte frei zwischen Radieschen und Schokolade wählen.
- Gruppe B sah sowohl Radieschen als auch Schokolade, durfte aber nur die Radieschen essen (also aktiv Versuchungen widerstehen).
- Gruppe C sah gar nichts davon und kam hungrig.
Alle Gruppen versuchten anschließend eine bewusst schwer gestellte, unlösbare Mathematikaufgabe. Ergebnis:
- Gruppe A und Gruppe C hielten im Schnitt etwa 20 Minuten durch.
- Gruppe B hielt nur ca. 8 Minuten durch — also über 50 % weniger.
Das heißt: Schon das Sehen einer Versuchung und das aktive Widerstehen zehrt enorm an deiner Willenskraft.
Sechs konkrete Tipps, wie du deine Willenskraft während des Tradings erhältst
Hier kommen sechs pragmatische Strategien, die du sofort umsetzen kannst.
1. Definiere eine klare Trading-Tagesstruktur
Lege feste Zeiten für Analyse, Ordervorbereitung und Umsetzung fest. Wenn möglich, mache die Planung am Morgen — bevor der Markt volatile Phasen beginnt oder bevor du viele emotionale/berufliche Entscheidungen treffen musst. Beispiel-Tag:
- 07:00–08:30: Marktanalyse, Screener, Trade-Planung
- 09:00–12:00: Nur Monitoring und kleine Anpassungen, ggf. Pause
- 12:00–13:00: Mittagspause (Ablenkung ohne Bildschirm)
- 13:00–15:30: Vorbereitung auf US-Open (bei Bedarf)
- 15:30–17:00: Aktiv traden (mit geplanten Pausen)
- 17:00–17:30: Trade-Review, Journal
Die Struktur reduziert unnötige Entscheidungen und schützt deinen Akku.
2. Session-Design: Wann tradest du welche Strategie?
Teil deine Sessions in klare Segmente. Daytrader sollten kürzere, intensiv fokussierte Sessions machen mit geplanten Pausen. Swingtrader können ruhiger agieren — aber auch für dich gilt: Leg fest, unter welchen Bedingungen du tradest (z. B. nicht nach emotionalem Ereignis).
3. Regeln und Routinen implementieren
Schreibe deine Regeln auf und arbeite mit Checklisten:
- Trade-Checklist vor jedem Einstieg (Setup, Risiko, Ziel, Timing)
- Money-Management-Regeln (max. Risiko pro Trade, max. Risiko pro Tag)
- Automatisierungen: Alarme, automatisierte Orders, vordefinierte Take-Profit- und Stop-Loss-Level
Jede Regel spart eine Entscheidung — und damit Akkukapazität.
4. Emotionale und mentale Vorbereitung
Stressmanagement gehört zur Grundausstattung. Baue kurze Atemübungen, kurze Meditationen oder Spaziergänge ohne Smartphone in deinen Tag ein. Diese Pausen laden die Ressourcen auf und helfen dir, klarer zu denken.
5. „Unfit to trade“ – Die Erlaubnis, nicht zu traden
Analog zu Piloten, die sich am Tag des Fluges unfit fühlen können: Erlaube dir selbst, nicht zu traden, wenn du mental nicht bereit bist. Ein knapper Satz wie „Ich bin heute nicht fit zum Traden“ genügt als interne Freigabe, und du machst keinen Fehler, weil du handelst, während du abgelenkt bist.
6. Impulsmanagement: Verzögerungsregel
Führe eine Verzögerungsregel ein: Wenn du eine impulsive Trade-Idee bekommst, warte X Minuten (z. B. 10 Minuten für Intraday, 1–2 Stunden für Swing-Trades), bevor du eine neue Position eröffnest. Dokumentiere das im Journal. Häufig verflüchtigt sich der Impuls oder die Idee verliert an Stärke.
Wie du diese Tipps konkret umsetzt: Ein praktischer Tagesplan
Hier ist ein konkreter, umsetzbarer Tagesplan, den du an deine Bedürfnisse anpassen kannst.
Morgenroutine (Akku auf 100 % bringen)
- 07:00 Aufstehen, 7–8 Stunden Schlaf ideal
- 07:10 Kurze Mobilisierung: 5–10 Minuten Dehnung oder leichter Spaziergang
- 07:30 Frühstück mit niedrigem GI: Haferflocken mit Beeren und Nüssen oder Rührei mit Vollkornbrot
- 08:00 Handelsplan erstellen: Watchlist, Risiko pro Trade, Tageslimit
Vorhandeln / Vormittag
- 09:00–11:00: Screening, Analyse, Watchlist finalisieren
- 11:00–11:15: Pause (kurzer Spaziergang, kein Smartphone)
- 11:15–12:30: Positionsüberwachung, kleinere Routineaufgaben
Mittagspause
- 12:30–13:30: Mittagessen mit niedrigem GI (Salat mit Hülsenfrüchten oder Quinoa + Proteine)
- Kurze Entspannungsübung oder Power-Nap (15–20 Minuten)
Nachmittag bis Markteröffnung
- 13:30–15:00: Review, Vorbereitung auf volatile Sessions; nur wenn Akku > 50 % aktiv traden
- 15:00–15:30: Letzte Vorbereitung, Wasser trinken, kleiner Snack (Nüsse)
- 15:30–17:00: Handelssession mit geplanter Pause nach 30–45 Minuten (5–10 Minuten)
Abends
- 17:00–17:30: Trade-Journal: Notiere Emotionen, Entscheidungskriterien, was gut/ schlecht lief
- 18:00: Abendessen, offene E-Mails nur in definierten Slots beantworten
Tools und Routinen, die deine Willenskraft sparen
Nutze jede Möglichkeit, Entscheidungen zu automatisieren:
- Vorprogrammierte Orders (Limit, Stop)
- Alarme bei Kursbewegungen statt permanenter Bildschirmbeobachtung
- Vorlagen für Trade-Einträge im Journal (Checklisten)
- Regelmäßige Pausen-Timer (z. B. Pomodoro-ähnliche Technik für Trading-Sessions)
Ein Beispiel für eine Trade-Checkliste
Vor jedem Einstieg durchgehst du diese Punkte kurz in deinem Kopf oder auf Papier:
- Gibt es ein gültiges Setup gemäß meinem Plan?
- Habe ich das Risiko pro Trade definiert (max. X % des Kontos)?
- Wo ist mein Stop-Loss (konkret in Preis/Index) und mein Ziel?
- Welche Nachrichtensituation/Volatilität liegt vor?
- Bin ich emotional klar (kein Stress, keine Ablenkung)?
- Habe ich eine Exit-Strategie für Verlust/Teilgewinn?
Impulsmanagement im Alltag: praktische Tricks
Hier einige konkrete Maßnahmen, um Versuchungen und Impulshandeln zu reduzieren:
- Smartphone außer Sichtweite während intensiver Sessions
- Snack-Schälchen mit gesunden Nüssen statt Süßigkeiten sichtbar platzieren
- Fenster für neue Trade-Ideen: „Anmeldung → 10 Minuten Beobachtung → ggf. Einstieg“
- Setze dir ein Tages-Risk-Limit: Bei Überschreiten keine weiteren Trades
Das Journal: Dein Spiegel und Trainingsinstrument
Ein Trading-Journal ist mehr als nur Zahlen. Es zeigt dir, wann deine Willenskraft nachlässt:
- Notiere Zeitpunkt, emotionalen Zustand, Energielevel (z. B. 1–10), Schlafqualität.
- Füge bei Fehlern kurze Kommentare hinzu: „Warum habe ich Stop verloren?“ oder „Warum habe ich Revanche-Trading gemacht?“
- Regelmäßig auswerten: Erkennst du Muster (z. B. schlechter Tag nach weniger als 6 Stunden Schlaf oder nach späten Terminen)?
Wann solltest du überhaupt nicht traden? – „Unfit to Trade“-Regel
Formuliere eine kurze, klare Regel: Wenn eine der folgenden Bedingungen zutrifft, tradest du nicht:
- Schlaf < 6 Stunden
- Emotionale Belastung (z. B. Streit, ernsthafte Nachrichten)
- Akku-Einschätzung unter 30 % (subjektiv oder durch Checkliste)
- Dein Tagesverlustlimit wurde erreicht
Das klingt vielleicht radikal, ist aber Schutz vor großen Fehlern. Trader, die über Jahre erfolgreich sind, kennen die Fähigkeit, aus dem Markt herauszubleiben — das ist oft wichtiger als das Traden selbst.
Buchtipp und weiterführende Literatur
Wenn du tiefer einsteigen willst, empfehle ich das Buch „Die Macht der Disziplin“ von Roy Baumeister (im Original: „Willpower: Rediscovering the Greatest Human Strength“ von Roy Baumeister und John Tierney). Darin findest du die beschriebenen Studien und weitere Experimente zu Willenskraft, Entscheidungsermüdung und Selbstkontrolle. Das Buch ist eine exzellente Grundlage, um die wissenschaftlichen Hintergründe zu verstehen und praktische Ableitungen für den Alltag zu bekommen — nicht nur für Trader.
Zusammenfassung und konkrete To-dos für deinen nächsten Trading-Tag
Zum Abschluss noch einmal das Wichtigste in handlichen Schritten, die du direkt morgen umsetzen kannst:
- Schlafpriorität: Sorge für 7–8 Stunden Schlaf.
- Frühplanen: Mache deine Screener- und Tradeplanung morgens als erste Aufgabe.
- Low-GI-Snacks: Bereite Nüsse, Naturjoghurt, Beeren oder Vollkornbrot vor.
- Checkliste verwenden: Vor jedem Trade die 6-Punkte-Checkliste durchgehen.
- Pausestruktur: Plane alle 45–60 Minuten 5–10 Minuten Pause ein.
- Impulsregel: Bei spontanen Trades 10 Minuten Verzögerung einhalten.
- „Unfit to Trade“-Regel: Wenn du mental nicht da bist, tradest du nicht.
- Journal: Notiere dein Energielevel, Entscheidungszeitpunkt und Emotionen.
Abschließende Gedanken
Willensstärke ist kein mystisches Talent — sie ist ein knallhartes, überprüfbares und steuerbares Element deines Tradings. Wenn du beginnst, deinen Willenskraft-Akku bewusst zu managen, wirst du weniger impulsiv handeln, bessere Entscheidungen treffen und insgesamt stabiler performen.
Mach den Test: Implementiere morgen nur zwei Änderungen aus diesem Artikel (z. B. Morgenplanung + Snack mit niedrigem GI) und beobachte, wie sich deine Entscheidungsqualität verändert. Der Unterschied wird dich überraschen.
Viel Erfolg beim Umsetzen — dein Konto wird es dir danken.
Merke: Jede eingesparte Entscheidung ist Willenskraft, die du für die wirklich wichtigen Trades brauchst.